Das Stolpern ist ein Gendefekt
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Ist trotz ihrer seltenen Krankheit zuversichtlich: Die 42-jähirge Annette Nagel aus Benthe.© Ingo Rodriguez
30.10.2013 | 17:41 Uhr | Ingo Rodriguez
BENTHE
Das Stolpern ist ein Gendefekt
Die 42-jährige Alexandra Nagel aus Benthe leidet an einem äußerst seltenen und bislang unheilbaren Gendefekt. Sie weiß schon jetzt, dass sie irgendwann auf einen Rollstuhl angewiesen sein wird. Weil viele Betroffene heutzutage offenbar immer noch mit falschen Diagnosen leben, will sie Aufklärungsarbeit leisten - und Erkrankten Mut machen.
RONNENBERG. Hereditäre spastische Paraplegie (HSP): Welche Krankheit und welche Symptome sich hinter diesem Fachbegriff verbergen, weiß die Bürokauffrau inzwischen ganz genau. „Es ist ein Gendefekt, der bewirkt, dass Nervenzellen im Rückenmark geschädigt werden und irgendwann langsam das Gehvermögen nachlässt“, sagt Nagel.
Es ist aber noch nicht lange her, dass die 42-Jährige überhaupt gar nichts über diese Erbkrankheit wusste - obwohl sie bereits seit Jahren unter den Symptomen litt. „Von ersten Beschwerden bis zur richtigen Diagnose sind acht Jahre vergangen“, erzählt sie. Ärztemarathon - so bezeichnet Nagel ihren Leidensweg bis zur Gewissheit. „Erst haben Freunde bemerkt, dass ich watschele wie eine Ente, später kam leichtes Stolpern dazu“, erinnert sie sich an die Anfänge.
Was folgte, waren mehrere orthopädische Diagnosen und Physiotherapien. „Bis mich ein Orthopäde zu einem Neurologen schickte“, erzählt Nagel. Als sich ein Verdacht auf Multiple Sklerose nicht bestätigte, schickte sie der Arzt in die Sprechstunde für Bewegungsstörungen an der Medizinischen Hochschule Hannover. Erst dort erhielt Nagel die schockierende Nachricht: „Sie werden eines Tages im Rollstuhl sitzen.“
Nach anfänglichem Schock schöpfte die Frau aus Benthe aber schnell wieder Mut. „Es gibt zwar keine Medikamente oder eine Heilung, aber mit viel Physiotherapie und Schwimmen lässt sich vermutlich noch länger meine derzeitige Mobilität erhalten“, weiß sie inzwischen nach intensiven Recherchen. Eine Prognose über den Krankheitsverlauf sei heutzutage aber noch nicht möglich. Trotzdem hat sich Nagel bereits ein auf Handbetrieb umgebautes Auto besorgt - auf Kosten der Rentenversicherung. „Damit ich auch zur Arbeitsstelle in Empelde komme, wenn sich die Lähmungserscheinungen verschlimmern“, sagt sie.
Ihre Freizeit versucht Nagel mit ihrem Lebenspartner so normal wie möglich zu verbringen. „Wir reisen und gehen in Konzerte, machen alles, was geht“, sagt sie. Die 42-Jährige hat sich vorgenommen, die Krankheit bekannter und Betroffenen Mut zu machen. „Bundesweit gibt es schätzungsweise rund 6000 Erkrankte, die Dunkelziffer ist höher“, weiß sie. Um Aufklärungsarbeit zu leisten, hat Nagel gemeinsam mit einer Leidensgefährtin aus Wunstorf kürzlich auch eine Selbsthilfegruppe gegründet (siehe Kasten).
Von Nagels Aufklärungsarbeit hat auch schon ihre 60-jährige Mutter profitiert. „Sie ist immer genau so beschwerlich gegangen wie meine Oma und ich“, erzählt die Tochter. Auf ihren Rat ging die Mutter zum Spezialisten. Diagnose: HSP.
Gruppe lädt zu einem Treffen ein
Alexandra Nagel will mit ihrer seltenen Erbkrankheit offensiv umgehen und Aufklärungsarbeit leisten. Gemeinsam mit Sieglinde Utz-Tafelksi aus Wunstorf hat sie deshalb eine Selbsthilfegruppe gegründet: die Interessengemeinschaft Hereditäre spastische Paraplegie (IG HSP) Hannover und Südniedersachsen. „Wir sind zurzeit acht Mitglieder, tauschen uns in einem Internetforum aus, empfehlen uns Physiotherapien, gehen aber auch gemeinsam schwimmen“, sagt Nagel. Zu einem Informationstreffen lädt die IG HSP für Sonnabend, 2. November, 10.30 Uhr, in den Gemeinderaum an der Stiftstraße in Wunstorf ein. Dort wird ein mit HSP vertrauter Neurologe über Spastik und deren Behandlung referieren – und Fragen beantworten.
Quelle: http://www.neuepresse.de/Hannover/Meine ... -Gendefekt