Hallo zusammen,
heute erreichten mich zwei Rückfragen zu unserem Förderprojekt "Nonsensemutationen". Ich stelle die beiden Fragen und die Antworten hier ein, weil so vermutlich das Ziel dieses Projektes und der Nutzen für uns noch klarer wird.
Frage 1:
- Warum dauert denn der Test der Medikamente so lang. Warum kann ich das Medikament nicht direkt verschrieben bekommen und einnehmen. Ich merke dann doch schon selbst ob es bei mir wirkt.
- Es ist nicht zulässig, dass neue Medikamente -ohne sie vorab zu testen- bei HSP-Patienten eingesetzt werden. Das ist auch absolut richtig. Denkt bitte nur einmal an die schlimmen Nebenwirkungen, die zum Beispiel das Medikament "Contergan" verursacht hat. Es ist nicht zu verantworten, dass neue Medikamente ohne die wirklich notwendigen Testverfahren bei uns eingesetzt werden. Dabei können unsere Forscher auf viele Studienergebnisse zurückgreifen, die mit dem Wirkstoff bei anderen Krankheiten (z.B. bei Mukoviszidose und Muskeldystrophie Duchenne) erarbeitet wurden. Die Testzeit wird dadurch wesentlich verkürzt. Bedenkt bitte, dass z.B. das Präparat Ataluren® (Wirkstoff PTC124) heute auf eine mehr als 10-jährige Entwicklungszeit zurückblickt. Die Dauer unserer HSP-Studie zu den Nonsensemutationen ist mit einer Zeitschiene von zwei Jahren nur möglich, weil auf viele Ergebnisse aus den Studien der vergangenen Jahre zurückgegriffen werden kann.
Frage 2:
- Ich weiß ja, dass ich die Nonsensemutation habe. Der Test bei der Nonsensemutation ist doch schnell zu erledigen. Warum dauert das so lange. Was machen unsere Forscher da eigentlich?
- Die Aussage "ich habe die Nonsensemutation" ist sachlich nicht richtig. Richtig ist es, zu sagen, "ich habe eine Nonsensemutation". Es gibt nämlich mehrere Nonsensemutationen, so dass allein dadurch diese Mutationsform kompliziert wird. Bedenkt bitte, dass die Nonsensemutation ein Buchstabentausch im Gencode ist, der zu einem Stoppbefehl führt. Ab diesem Stoppbefehl wird die nachfolgende Information aus dem Gencode nicht mehr in das herzustellende Protein eingebaut. Das Protein ist somit nicht funktionsfähig.
Zusätzliche Hinweise:
- Wenn ich sage, dass es nicht "die" Nonsensemutation, sondern "eine" Nonsensemutation gibt, so hat das u.a. den Grund, dass unser Gencode drei unterschiedliche Befehle für den Stopp kennt. Im Prinzip ist das vergleichbar zu einem Text, in dem es heißt:
Hier ist Stopp.
oder
oder ......Hier ist Ende.
Die Aussage der Sätze ist immer gleich. Es sind aber andere Worte gewählt. Ganz genauso ist es mit den drei unterschiedlichen Stoppbefehlen im Gencode. Die in der Studie zu testenden Medikamente sollen nun auf jeden der drei Sätze gleich reagieren. Ob das bei unserer HSP möglich ist, das muss geprüft werden.
Neben dem Text für den Stopp kommt es zudem auf die Stelle im Gencode an, an der der falsche Stoppbefehl entsteht. Allein im Gen Spastin gibt es 225 unterschiedliche Möglichkeiten an denen ein solcher Stoppbefehl durch eine Mutation entstehen kann.
Zusätzliche Hinweise:
- Weil diese 225 Punkte über die gesamte Länge des Gens verteilt sind, greifen sie auch an diesen Stellen in unterschiedliche Aufgaben des Gens ein. Eine Vielzahl solcher Aufgaben wird z.B. innerhalb der AAA-Domain geleistet. Das ist eine Region, die mit einer Vielzahl von zellulären Aktivitäten verbunden ist. Die AAA-Domain gibt es nur in wenigen Genen. Sie kommt aber beispielsweise im Spastin (hier ist sie besonders lang) und in einigen anderen HSP-Genen vor. Diese Domain ist in den Genen bei den bisher untersuchten Erkrankungen (Mukoviszidose und Muskeldystrophie Duchenne) nicht vorhanden, so dass es hier noch keine Forschungsergebnisse gibt. Es ist jedoch notwendig, solche Ergebnisse zu kennen und den Einfluss auf die AAA-Domain zu beurteilen, bevor die Medikamente am Menschen getestet werden.
Ich habe mich in meinen Gedanken nur auf das Spastin konzentriert. Natürlich gilt das Geschriebene in ähnlicher Form für alle HSP-Gene. Denn die Nonsensemutationen sollen ja nicht nur im Spastin behandelbar werden. Weitere Informationen zu den Medikamenten in der Studie sind im Beitrag "Medikament bei Nonsensemutation in Entwicklung" zu finden.
Ich hoffe es sehr, dass durch diesen Beitrag vom Ansatz her erkennbar wird, wie wesentlich die Arbeiten unserer Tübinger Forscher sind. Sie haben nicht nur eine Nonsensemutation zu untersuchen, sondern sie müssen sehr viele Nonsensemutationen in der Studie bearbeiten. Sie arbeiten an Zellkulturen mit unterschiedlichen HSP-Genen und mit unterschiedlichen Nonsensemutationen. Sie werden erkennen, welche Folgen die Gabe von Medikamenten hat. Sie müssen das im Reagenzglas und in der Petrischale machen, weil niemand von uns zum lebenden Testkandidaten gemacht werden darf. Es sind viele Fragen, die durch die Studie Antworten erhalten werden. Und das sind Antworten, die für unsere Gesundheit wesentlich sind. Es wäre töricht, wenn unsere Forscher hier notwendige Arbeiten nicht machen würden, nur um schneller zu Teil-Ergebnissen zu kommen.
Ich hoffe es, dass nun mit diesem Hintergrundwissen noch mehr HSP'ler das Projekt finanziell unterstützen werden. Jede Spende ist ein Baustein für eine gesunde Zukunft. Ich glaube, dass wir mit diesem Projekt erneut aufzeigen können, wie wichtig es ist, dass sich HSP-Betroffene selbst engagieren. So sorgen wir für unsere Gesundung. Es ist sicher ein schönes Gefühl zukünftig sagen zu können: "Ich habe es miterlebt". Und es ist sicher noch schöner sagen zu können: "Ich bin dabei gewesen, und ich habe mitgemacht!"
Herzliche Grüße
Rudi