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Paraparese > Spastik?

BeitragVerfasst: Do 16. Aug 2018, 17:21
von Molesworth
Hallo,
ich bin neu hier im Forum und wüsste gerne, ob es noch andere gibt, die eine Symptomatik haben, bei der die Spastik weniger stark ausgeprägt ist als die Paraparese. Mein Gang ist nicht der typische Scherengang, aber durch Fußheber- und inzwischen auch Beinheberstörung eher ein etwas schlurfender Gang mit häufigem Stolpern und diversen Stürzen. Mein linkes Bein beschreibt eine leichte Drehung beim Gehen, das rechte setze ich aber fast gerade nach vorne. Die Schrittgeschwindigkeit nimmt auch allmählich ab. Die Spastik macht sich bei mir vorwiegend durch Krämpfe bemerkbar und Steifigkeit nach längerem Sitzen oder Liegen.
Allerdings spüre ich die zunehmende Paraparese in den Beinen. Vor Jahren war es bei schnellem Gehen oder Laufen ein Kraftverlust in den Beinmuskeln, durch den ich teils heftig stürzte. Jetzt tritt der Kraftverlust auch bei langsamerem Gehen oder Stehen auf, so dass ich mich unvermittelt auf dem Boden liegend wiederfinde. Diese Vorfälle treten immer häufiger auf und so plötzlich und ohne Vorwarnung, dass ich beim Gehen auf der Straße inzwischen etwas unsicher und ängstlich bin.
Dazu kommen noch Blasenstörung, leichte Gleichgewichtsprobleme, gestörtes Vibrationsempfinden in den Unterschenkeln und leichte Schwäche in den Armen sowie zunehmende feinmotorische Ungeschicklichkeit.
SPG 3, 4 und 7 negativ, weitere Gentests wurden noch nicht durchgeführt, ansonsten aber umfassende Differentialdiagnostik - HSP ist sehr wahrscheinlich zumal auch mein Vater und meine Großmutter väterlicherseits erkrankt waren. Mein Vater konnte bis kurz vor seinem Tod noch mit Unterarmgehstützen gehen.
Danke vorab für eure Antworten

Re: Paraparese > Spastik?

BeitragVerfasst: Fr 17. Aug 2018, 09:40
von Rudi
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Hallo Molesworth,

zunächst ganz herzlich willkommen hier bei uns im Forum „Ge(h)n mit HSP“. Ich hoffe es sehr, dass du bei uns aus der Gruppe der Aktiven kompetente Hilfe erhältst, und dass du selbst zukünftig auch deinen Erfahrungsschatz einbringen wirst.

Du sprichst zunächst an, dass du das Gefühl hast, die Spastik sei bei dir weniger stark ausgeprägt als die Parese. Das ist sicher möglich. Die HSP hat ja im Namen bereits neben der Spastik auch die Paralyse (oder besser gesagt, die Parese). Und der Name sagt nichts über den Anteil oder über die Stärke der beiden Krankheitszeichen. Bei uns liegt eine zentrale Parese vor, da das erste Motoneuron betroffen ist. Die zentrale Parese ist immer kombiniert mit der spastischen Lähmung. Anders bei der peripheren Parese. Sie wird im zweiten Motoneuron erzeugt und zeigt eine schlaffe Lähmung. Bei der HSP hast du also immer auch die Spastik. Der betroffene Nervenstrang degeneriert durch das mutierte Gen (besser gesagt durch das fehlerhaft entwickelte Protein) recht langsam. Es ist denkbar, dass dadurch die spastische Reaktion erst später eintritt oder dass sie sich in einer schwächeren Ausprägung zeigt. Bedenke aber bitte, dass wir die Spastik benötigen. Sie ist eine Rettungsaktion unseres Körpers, der sich durch sie extrem schnell stabilisiert und uns vor Stürzen schützt. Du schreibst, dass du es häufig mit Stürzen zu tun hast. Das spricht dafür, dass der oben beschriebene, stabilisierende Effekt der Spastik bei dir nicht oder nicht ausreichend eintritt. Frage: Nimmst du irgendwelche Medikamente, die die Spastik reduzieren sollen? Wenn ja, welche und mit welcher täglichen Dosis? Du solltest dann mit deinem Arzt über die Dosis sprechen.

Du schreibst, dass bei dir die SPGs 3, 4 und 7 getestet wurden. Das erscheint mir im ersten Moment etwas eigenartig. Denn das SPG3 zeigt seine Symptomatik immer bereits in der frühen Kindheit. Das kann bei dir vermutlich ausgeschlossen werden. Das SPG4 ist sinnvoll zu untersuchen, weil es dominant ist (die dominante Form liegt bei dir vor, da dein Vater und dessen Mutter betroffen waren) und weil es die Form ist, die am Häufigsten auftritt. Das SPG7 ist für mich im Prinzip unverständlich, da es rezessiv vererbt wird. (Ich weiß, dass es von den mehreren hundert Mutationsmöglichkeiten zwei Varianten im SPG7 gibt, die auch dominant wirken können; die würde ich aber nicht vordergründig als die Ursache bei dir ansehen). Da du aus NRW kommst, rate ich dir dazu unbedingt Kontakt mit Herrn Prof. Dr. Stephan Klebe aufzunehmen, der an der Uniklinik Essen tätig ist. Ich kenne ihn seit vielen Jahren und er ist einer der wenigen Ärzte, die sich mit unserer HSP wirklich gut auskennen. Daten zu Prof. Klebe findest du
hier per Klick.

Interessant könnte es für dich sein, am 15.September zum
HSP-Info-Tag nach Bremen zu kommen. Da ist nämlich Herr Prof. Klebe einer der Referenten, so dass sich damit eine persönliche Kontaktmöglichkeit quasi von selbst ergibt. Da das Bremer Programm wieder großartig ist, komme ich aus Baden-Württemberg auch dorthin. Wir können uns dort persönlich kennenlernen.

Auch das Thema Blasenstörung bei HSP ist dort ein Schwerpunkt. Es gibt im Prinzip zwei Schwerpunktstörungen der Blase bei uns HSP’lern. Die eine ist die Inkontinenz und die andere ist die Harnstauung. Beides ist auf vielfältige Weise behandelbar. Es gibt Medikamente, die diese Störung beeinflussen. Sehr wirksam kann eine Botoxbehandlung sein. Alternativ ist das Kathetern eine Lösung. Da solltest du aber unbedingt einen Urologen aufsuchen. Es macht keinen Sinn, dir hier einzelne Medikamente aufzuzeigen. Optimal ist es, wenn du da einen Neurourologen finden würdest. Da das Thema Blasenstörung ein HSP-Standardthema ist, ist es auch mit zwei Referaten beim HSP-Info-Tag in Bremen vertreten.

Ich glaube, dass es sich für dich lohnen wird, nach Bremen zu kommen. Im oben verlinkten Programm sind auch die Kontaktdaten für die Anmeldung (Bettina und Enno) enthalten. Falls du ein Hotel benötigst, so können dir beide sicher auch dabei helfen.

Herzliche Grüße
Rudi




Re: Paraparese > Spastik?

BeitragVerfasst: Fr 17. Aug 2018, 10:54
von Molesworth
Lieber Rudi,

danke für die sehr ausführliche, kompetente und hilfreiche Antwort.

Zu Deiner Frage bzgl. Medikamenten gegen Spastik: nein, ich nehme gar nichts gegen Spastik. Ich habe wegen der Blasenstörung mal Tolperison eingenommen, es aber nach ca. 1 Woche gelassen, weil ich erstens unangenehme Nebenwirkungen hatte (Mundtrockenheit, Verstopfung etc.) und - was für mich DAS entscheidende Argument war - mein Gang wurde schlechter, unsicherer. Auch bei Magnesium habe ich oft das Gefühl, dass die Wirkung eher Placebo ist, dabei mein Gang aber unsicherer wird.

Gentest: ja, der Kritik stimme ich vollkommen zu, aber zu der Zeit, als der Test veranlasst wurde, war ich noch nicht so gut informiert, um das in Frage zu stellen. Im Nachhinein habe ich den Sinn dieser Tests in dieser Kombination (SPG3, 4 und 7) natürlich auch nicht verstanden, aber damit werden halt die häufigsten Formen der HSP erfasst. Ich würde sehr gerne ein Panelscreening durchführen lassen und habe mit meinem sehr limitierten Wissen und Euren hilfreichen wissenschaflichen Dokumenten mit aller Vorsicht einen Verdacht, welches Gen betroffen sein könnte, weiß aber auch, dass noch längst nicht alle HSP auslösenden Mutationen entdeckt/erkannt wurden und ich auch voll daneben liegen kann mit meiner Überlegung. Mein Verdacht ist SPG10, weil ich auch eine Schwäche der Arme habe und weil meine Großmutter, die bereits mit 39 im Rollstuhl saß, nach Aussagen meiner älteren Schwestern wohl rheumatoide Arthritis hatte (oder eine nicht erkannte HSP, wer weiß).

Blasenstörung: ich war bereits zweimal in der Neurourologie in Mönchengladbach: Restharn nicht viel, nicht behandlungsbedürftig, aber Inkontinenz, die ich mit entsprechenden Einlagen 'im Griff' habe (d.h. für mein nicht informiertes näheres Umfeld nicht wahrnehmbar).

Danke für den Hinweis auf Prof. Klebe, den ich wirklich gerne persönlich kennenlernen würde. Auch die Fahrt nach Bremen würde ich nicht scheuen, aber ich bin vom 8.-16.9. in Exerzitien und das ist eine Auszeit, die mir sehr gut tut und für die ich schon seit Monaten angemeldet bin. Ich gehe mal in mich und überlege, ob ich die Exerzitien einen Tag früher beende, aber das kann ich jetzt noch nicht entscheiden und das kommt auch sehr auf den Prozess an, in dem ich mich dort befinde. Wäre eine Anmeldung auch noch kurzfristig möglich, also ca. zwei Tage vorher?

Vielen Dank für die vielen hilfreichen Hinweise und vielleicht bis bald ganz herzliche Grüße

Re: Paraparese > Spastik?

BeitragVerfasst: Fr 17. Aug 2018, 11:14
von Rudi
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Hallo Molesworth,

  • beim Panalscreening -also bei der Hochdurchsatzsequenzierung- ist Prof Klebe der Richtige. Das wird zwar nicht in Essen gemacht, aber Klebe weiß, wohin er das zu schicken hat.
  • Sei bitte vorsichtig mit deiner Diagnosevermutung. Den Hinweis gebe ich nur, weil selbst innerhalb von Familien, wo also zwangsläufig die gleiche Genmutation vorliegt, die Symptome extrem unterschiedlich sein können. Das betrifft sowohl das Alter des Auftretens wie auch das Ausbleiben oder das Kommen einzelner Krankheitszeichen. Es gibt sogar Familien in denen einzelne Mitglieder trotz vorhandener und nachgewiesener Mutation keine Symptome zeigen.
  • Wegen der Anmeldung zu Bremen frage bitte bei Bettina oder Enno nach. Die Organisation unserer HSP-Info-Tage liegt immer bei den regional Verantwortlichen

Herzliche Grüße
Rudi




Re: Paraparese > Spastik?

BeitragVerfasst: Mo 29. Apr 2019, 00:47
von Molesworth
Hallo Rudi,
danke für den Hinweis auf Professor Klebe, bei dem ich inzwischen in Behandlung bin. Er hat wirklich sehr viel Ahnung von und Detailwissen über HSP. Neurologen, bei denen ich früher in Behandlung war, haben oft wegen meines gering spatischen Gangbilds HSP in Frage gestellt. Professor Klebe hingegen hat sich meinen Gang angeschaut und hatte nicht den Hauch eines Zweifels.
Ich hoffe nun, dass die Krankenkasse mir funktionelle Elektrostimulation zur Anregung des Fußhebers bewilligt.
Ein Gentest läuft ebenfalls und ich hoffe auf Resultate bis spätestens Juli/August. Danach werde ich einen Schwerbehindertenausweis beantragen.
Dies nur als kurzes Update, mehr dann hoffentlich im Spätsommer.
Herzliche Grüße
Molesworth