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Krankheitsverlauf mit Tetraspastik

BeitragVerfasst: Do 6. Sep 2018, 21:40
von Ulrike
Guten Abend
Ich bin neu hier und weis erst seit Kurzem von der Verdachtsdiagnose HSP. Seit etwas mehr als einem Jahr wird an mir "rumgedoktert". Durch Zufall kam eine Humangenetikerin zu dem Verdacht und testete ohne neurologischen Auftrag HSP 3+4 gleich mit, welche negativ waren(Panel-Diagnostik läuft nun)
Bis gestern war ich stationär zur neurologischen Diagnostik, die den Verdacht bestätigen. Seit 2 Tagen nehme ich Baclofen 2x Tgl. 12,5mg, bisher ohne große Nebenwirkung. In 2 Wochen soll ich auf 2x 25mg gehen. Jetzt bekomme ich Physio-und Ergotherapie und ein Rehaantrag wurde gestellt. Die Ärzte sprechen von einer Tetraspastik, da ich auch Schwierigkeiten mit meinen Armen habe (Kraftverlust, Hypertrophie der linken Schultermuskulatur mit Schmerzen)
Die Ärzte tun sich verdammt schwer mit einer Vermutung, wie schnell das ganze fortschreiten kann. Kann mir vielleicht jemand aus eigenen Erfahrungen sagen, was sich mit der Therapie noch "rausholen" lässt?
Momentan bin ich einfach sehr verunsichert und habe soooo viel offene Fragen...

Schönen Abend euch allen

Re: Krankheitsverlauf mit Tetraspastik

BeitragVerfasst: Fr 7. Sep 2018, 11:00
von Rudi
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Hallo Ulrike,

ein herzliches Willkommen hier bei uns im Forum.

Du schreibst, dass an dir seit etwas mehr als einem Jahr „herumgedoktert“ wird. Das kennen die meisten von uns. Bei mir lief diese Phase über einen Zeitraum von 12 Jahren. In den letzten Jahren ist da aber eine ganze Menge passiert, so dass es bei dir nun „nur noch“ gut ein Jahr gedauert hat. Das ist immer noch zu lang, keine Frage. Aber du kannst es gut erkennen, dass da einiges in die richtige Richtung läuft.

Es ist prima, dass bei dir die Panel-Diagnostik läuft. (Nur zum Verständnis sei gesagt, dass das das Verfahren ist, das hier bei uns im Forum auch als Hochdurchsatzsequenzierung bezeichnet wird.) Im Regelfall gibt es damit nach etwa 3 bis 4 Monaten ein Ergebnis. Mit diesem Verfahren werden die Gene, die aus deinem Blut gewonnen werden, mit den bekannten HSP-Genen verglichen. Man kennt heute etwa 80 HSP-Gene, man geht aber davon aus, dass es etwa 200 geben wird. Da man den restlichen Teil noch nicht kennt, kann man den auch noch nicht zum Vergleich heranziehen. Dennoch bekommen über die Panel-Technik etwa 60% von uns eine klare Diagnose. Du wirst nun ein paar Wochen warten müssen.

Das Baclofen ist das Medikament, mit dem die meisten von uns begonnen haben. Du solltest es einfach sehr genau beobachten, was passiert. Es gibt auch andere Medikamente, die die Spastik beeinflussen.

Zur Fortschrittgeschwindigkeit können dir die Ärzte wirklich keine konkrete Aussage machen. Das liegt daran, dass das selbst innerhalb von Familien, also bei Patienten mit dem exakt gleichen Genfehler, nicht möglich ist. Wir kennen bei uns im Forum Familien, bei denen bei einem Familienmitglied die HSP im Alter von 30 begonnen hat, während ein anderes Mitglied mit der gleichen, nachgewiesenen Mutation auch im Alter von 60 Jahren noch keine Symptome zeigt. Eine Erklärung dafür gibt es bisher noch nicht, aber dieses Beispiel verdeutlicht, warum dir die Ärzte nicht mehr sagen können.

Du sprichst von Kraftverlust in den Armen und von einer Tetraspastik. Mache dich da im Moment bitte noch nicht verrückt. Warte zunächst einmal die Gendiagnose ab. Mit dem dann vorliegenden Ergebnis kannst du sicher sehr viel gezielter an diesem Thema arbeiten. Also behalte zunächst die Ruhe. In jedem Fall solltest du aber Kontakt mit einer HSP-Spezialklinik aufnehmen. Mache das bitte recht zeitnah, denn die Wartezeiten sind in diesen Kliniken, wegen der Seltenheit der HSP, relativ lang. Du kannst die Landkarte mit den HSP-Kliniken
hier per Klick aufrufen.

Eine Reha macht sicherlich Sinn. Achte bitte nur darauf, dass du in eine Klinik kommst, die sich mit der HSP wirklich auskennt. Die HSP ist eine seltene Erkrankung und daher kann es nur wenige Kliniken geben, in denen die Ärzte und Therapeuten sich auf dieses Krankheitsbild spezialisiert haben. Du findest bei uns in unserem YouTube-Kanal eine Dreierreihe (
Reha Webinar Teil 1 bis Teil 3) mit Videos zur Klinik Hoher Meißner. Solltest du von deiner Krankenkasse in eine andere Klinik verwiesen werden, so stelle bitte den Antrag auf eine Klinik wie den Hohen Meißner.

Bei allen Fragen zur HSP kannst du die Verantwortlichen unserer
Interessengemeinschaften und unseres Fördervereins gerne auch anrufen. Beachte es auch, dass wir derzeit einige HSP-Info-Tage anbieten, auf denen du dich mit anderen HSP’ler austauschen kannst. Das ist sicherlich der effektivste und beste Weg, Infos zu unserer HSP zu erhalten. Schau einfach in der Startseite unseres Forums oben in den Lauftext.

Herzliche Grüße
Rudi




Re: Krankheitsverlauf mit Tetraspastik

BeitragVerfasst: Fr 7. Sep 2018, 12:42
von Ulrike
Vielen Dank für die schnelle Antwort ☺️
In meiner Familie gibt es derzeit keinen, der Symptome auf die HSP aufweist, auch gibt es keinen Hinweis, dass bereits verstorbene Angehörige daran erkrankt waren. Die Ärzte gehen derzeit davon aus, dass es sich bei mir um eine Mutation handelt, die evtl. noch nicht bekannt ist. Bei meinem Zwillingsbruder stehen die ganzen Untersuchungen noch an, die er auch ohne Auffälligkeiten durchführen lassen wird.
Ich bin dennoch froh, dass ich jetzt von den Therapien (Reha, Physio, Ergo und Baclofen) profitiere. Leider hat sich, seit Beginn meiner Beschwerden, mein Zustand rasant verschlechtert, was mir natürlich Angst macht, dass es weiter so fix "bergab" geht.
Geht es denn mit den o.g. Maßnahmen dann irgendwann besser oder versucht man so, "nur" den Verlauf zu verlangsamen?

Aber ich nehme den Rat gerne an und werde mich nach einer HSP-Ambulanz und einer Reha-Klinik mit HSP-Erfahrung umschauen.

Vielen Dank nochmal und einen schönen Tag

Re: Krankheitsverlauf mit Tetraspastik

BeitragVerfasst: Fr 7. Sep 2018, 13:02
von Rudi
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Hallo Ulrike,

dann noch eine kurze Ergänzung. Meine beiden Geschwister sind Zwillinge. Genau genommen eineiige Zwillinge. Sie haben beide HSP; sie haben nämlich den gleichen Gensatz. Bei dir ist das natürlich anders. Dein Bruder und du, ihr könnt nicht den gleichen Gensatz haben. Ihr seid schließlich Frau und Mann. Ihr seid zweieiige Zwillinge. Das bei dir betroffene Gen muss bei deinem Bruder nicht auch mutiert sein. Es gilt für euch beide die gleiche Grundsituation. Sollte da betroffene Gen ein dominantes Gen sein, so hat jeder von euch ein Risiko von 50%. Sollte es ein rezessives Gen sein, so hat jeder von euch ein Risiko von 25%. Theoretisch denkbar ist auch, dass du in einem HSP-Gen eine so genannte Spontanmutation hast. Da ihr zweieiig seid, kann dein Bruder diese Spontanmutation nicht ebenfalls haben.

Alles Gute
Rudi