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Studie zu nichtmotorischen Symptomen bei HSP - SPG4

BeitragVerfasst: Sa 26. Okt 2019, 10:39
von Rudi
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Hallo zusammen,

das HSP-Forscherteam der Universitätsklinik zu Tübingen (Tim W. Rattay, Andreas Boldt, Maximilian Völker, Sarah Wiethoff, Holger Hengel, Rebecca Schüle, Ludger Schöls) hat eine neue Arbeit zur HSP über das Journal of Neurology veröffentlicht. Sie trägt den Titel "Nichtmotorische Symptome sind relevant und möglicherweise bei erblicher spastischer Paraplegie Typ 4 (SPG4) behandelbar.". Im Text heißt es:

......... Unsere Studie hat zum Ziel, nichtmotorische Symptome und deren Relevanz für die gesundheitsbezogene Lebensqualität zu bewerten. In 118 genetisch bestätigten SPG4-Fällen und alters- und geschlechtsangepassten Kontrollen wurden validierte Fragebögen verwendet, um Müdigkeit, Depressionen, Schmerzen und das Restless-Legs-Syndrom zu bewerten. Darüber hinaus wurden selbst gemeldete medizinische Informationen zu Komorbiditäten, Blasen-, Darm- und sexuellen Funktionsstörungen gesammelt. ............


Das
Original ist hier zu finden. Die per Google übersetzte Seite ist hier per Klick abrufbar.

Herzliche Grüße
Rudi




Re: Studie zu nichtmotorischen Symptomen bei HSP - SPG4

BeitragVerfasst: Do 16. Apr 2020, 12:24
von Lothar

Hallo zusammen,

die Teilnahme zur Onlinebefragung "NMS-Studie in SPG4 im Vergleich zu gesunden Probanden" unterstützen wir in unserem Forum 2018. Ich beteiligte mich selbst an der Befragung und erhielt nun den Abschlussbericht hierzu. Freunde und Bekannte von mir, die ebenfalls teilnahmen, erhielten den Bericht nicht. Da eventuell ein kleines Verteilerproblem bestand, findet ihr den Bericht unten eingestellt.

Noch ein kleiner Hinweis. Im zweiten Absatz, erster Satz hat sich ein kleiner Fehler eingeschlichen. Den „HSP-Hilfe e.V.“ gibt es nicht. Hier ist natürlich das Forum unserer Interessengemeinschaft "Ge(h)n mit HSP" gemeint.

Herzliche Grüße
Lothar




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Nicht motorische Symptome bei Hereditären Spastischen Spinalparalysen
Tim Rattay, Rebecca Schüle und Ludger Schöls
.......................................April 2020

Patienten mit hereditärer spastischer Spinalparalyse (HSP) leiden neben der spastischen Gangstörung zusätzlich oft an weiteren Beschwerden, die die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen können. Solche nicht-motorischen Symptome der HSP wurden bislang nicht systematisch untersucht, obwohl viele von ihnen behandelt werden können. Mutmaßlich unterscheidet sich die Häufigkeit nicht.-motorischer Symptome zwischen den verschiedenen Unterformen der HSP. In dieser von der HSP-Selbsthilfegruppe geförderten Studie haben wir zunächst die SPG4 als den häufigsten genetischen Subtyp der HSP untersucht, der als ein klassisches Beispiel einer „reinen HSP“ gilt und nur selten „komplizierende Symptome“ aufweist. Mit Hilfe eines Onlinefragebogens haben wir SPG4-Patienten nach Symptomen wie Schmerzen, Blasen- oder Mastdarmentleerungsstörungen, sexuellen Funktionsstörungen, Depression, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen, Müdigkeit und Restless legs gefragt und ihre Auswirkung auf die Lebensqualität untersucht.

Patienten wurden über die HSP-Ambulanz der Universität Tübingen, die HSP-Hilfe e.V. und die HSP-Selbsthilfegruppe Deutschland e.V. rekrutiert. Einschlußkriterien waren eine genetisch gesicherte SPG4 und ein Alter zwischen 18 und 70 Jahren. Insgesamt wurden 118 SPG4-Patienten in die Studie eingeschlossen. Zusätzlich wurde eine gleich große Gruppe von Kontrollpersonen rekrutiert, die keine neurologische Erkrankung aufweisen durften außer Restless legs oder Depression. Als Kontrollen wurden Angehörige von Patienten oder medizinisches Personal rekrutiert. Die Kontrollgruppe unterschied sich in Alters- und Geschlechtsverteilung nicht von den Patienten.
Um möglichst vielen Patienten auch unabhängig von ihrer Mobilität eine Teilnahme zu ermöglichen, erfolgte die Befragung online mit Hilfe der LamaPoll-Plattform unter Verwendung folgender Internet-basierter Fragebögen:
  • Schmerz - Brief Pain Inventory (BPI)
  • Depression - Becks Depression Inventory (BDI)
  • Müdigkeit - Modified Fatigue Impact Scale (MFI)
  • Restless legs Syndrom - Restless-leg Questionaire
  • Lebensqualität – Euro Quality of life five dimensions questionnaire (EQ-5D)
  • Blasenentleerungsstörung
  • Mastdarmentleerungsstörung
  • Sexuelle Funktionsstörungen
Bei einer Untergruppe von 26 Patienten wurden zusätzlich kognitive Leistungen wie Konzentration- und Gedächtnis mit Hilfe des Montreal Cognitive Assessment (MOCA) und der CANTAB Testbatterie (Cambridge Cognition, UK) untersucht.

Die Patientengruppe war im Mittel 50 und die Kontrollgruppe 48 Jahre alt. Beide Gruppen bestanden jeweils zur Hälfte aus Männern und Frauen (je 59 Personen pro Gruppe). Die spastische Gangstörung begann bei den Patienten im Mittel mit 29 Jahren (Spanne 1. - 57. Lebensjahr), die mittlere Erkrankungsdauer betrug 21 Jahre (Spanne 1 - 61 Jahre). Die mittlere Gehstrecke betrug 1185 Meter mit einer Spanne von 0 m bis 12 km. 36% der Patienten waren frei gehfähig, 25% benutzten einen Gehwagen und 39% waren auf einen Rollstuhl angewiesen.

Blasenentleerungsstörungen waren bei SPG4-Patienten fast 10-mal so häufig wie in der Kontrollgruppe (78% versus 8%) mit einer Harndrangproblematik bei 55% der Patienten und einer Harninkontinenz bei 38%. Auch Darmentleerungsstörungen waren mit 31% viel häufiger als bei Kontrollen (3%); dabei traten Dranginkontinenz (14%) und Verstopfung (12%) etwas gleich häufig auf. Ein oft wenig beachtetes Symptom bei SPG4 sind Störungen der Sexualfunktion, die in unserer Erhebung von jeweils etwa einem Viertel der Männer und auch der Frauen berichtet wurden. Bemerkenswert erscheint uns, dass kein einziger Patient angab, eine Medikation für dieses Problem einzunehmen. Hingegen nahmen 20% der Patienten ein Medikament gegen Blasenprobleme.

Die gesundheitsbezogene Lebensqualität (im EQ5D-Fragebogen) war bei SPG4-Patienten reduziert auf 0,70 gegenüber 0,96 bei Kontrollen. Dabei korrelierte die Lebensqualität mit der Gehstrecke, der Erschöpfung (in der Fatigue-Skala) sowie Schmerz und Depression.

An Depression (gemessen mit dem Beck Depressionsinventar - BDI) litten 31% der SPG4-Patienten gegenüber 6% der Kontrollen. 14% erhielten Psychotherapie und 17% nahmen eine antidepressive Medikation. Nur gut die Hälfte der Patienten, die nach dem Ergebnis im BDI eine Depression hatten, erhielten eine medikamentöse und/oder

psychotherapeutische Behandlung. Interessanterweise korrelierte Depressivität nicht signifikant mit der Gehstrecke oder der Erkrankungsdauer und auch nicht mit dem Geschlecht.

Nach der Fatigue-Skala leiden 33% der SPG4-Patienten an einem Erschöpfungssyndrom gegenüber 8% der Kontrollen. Dabei korrelierte Erschöpfung mit der Gehstrecke.

Ebenso waren Schmerzen bei SPG4-Patienten häufiger und beeinträchtigten bei mehr als 40% die Alltagsaktivitäten. Eine medikamentöse Schmerztherapie erhielten aber weniger als die Hälfte der von Schmerzen betroffenen Patienten. Schmerzen korrelierten sowohl mit der Gehstrecke als auch mit der Erkrankungsdauer.

Ein schwieriges Problem ist die Einschätzung von Restless legs bei HSP. Für die SPG4-Patienten war es sehr schwer zwischen einem Spastik-bedingten Klonus und Restless legs zu unterscheiden. Immerhin nahmen etwa 5% der Patienten eine dopaminerge Medikation gegen Restless legs ein.

Kognitive Funktionen (Gedächtnis, Konzentration, Problemlösung) wurden in dieser Studie nur bei einer Untergruppe von 26 Patienten untersucht. Hier zeigten sich nur geringe Einschränkungen. Da solche Untersuchungen nicht gut Internet-basiert durchführbar sind, erfolgt derzeit eine detaillierte Studie zu dieser Fragestellung in unserer Klinik.

Wenn man die Anzahl der nicht-motorischen Symptome auflistet, wiesen mehr als 50% der Patienten Probleme in drei oder mehr Problemfeldern auf gegenüber weniger als 10% der Kontrollen. Dies verdeutlicht über alle Einzelwerte hinaus nochmal die Wichtigkeit einer umfassenden Untersuchung von HSP-Patienten, die über die motorischen Probleme hinausgeht. Da Nicht-motorische Symptome auch einen direkten Bezug zur Lebensqualität von SPG4-Patienten haben, ist ihre Erkennung und Behandlung von großer praktischer Bedeutung in der Betreuung von Patienten mit einer SPG4.

Auch wenn diese Studie auf die SPG4 als den häufigsten Genotyp der HSP beschränkt war, gibt es keinen Grund anzunehmen, dass nicht-motorische Symptome bei anderen HSP-Formen seltener sind. Im Gegenteil, da die SPG4 als
„reine“ (motorische) Form der HSP gilt, könnten bei anderen „komplizierten“ HSP-Subtypen nicht-motorische Symptome noch häufiger sein.

Wir sind der HSP-Selbsthilfegruppe sehr dankbar für die Förderung dieser Studie und hoffen, dass sie ihren Mitgliedern und allen HSP-Patienten durch eine vermehrte Beachtung nicht-motorischer Probleme direkt zugutekommt.

Dr. Tim Rattay
PD Dr. Rebecca Schüle
Prof. Dr. Ludger Schöls

Neurologische Klinik und Hertie-Institut für Klinische Hirnforschung
Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE)
Hoppe-Seyler Str. 3
72076 Tübingen

Tel: 07071 29 82057
Fax: 07071 29 4254
Email: Tim.Rattay@uni-tuebingen.de