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Neues zum SPG7 aus einer italienischen HSP-Forschergruppe

BeitragVerfasst: Mi 2. Dez 2020, 16:03
von Rudi
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Hallo zusammen,

heute gibt es eine hoch interessante Nachricht für alldiejenigen unter uns, die von einer SPG7-Mutation betroffen sind. Die neue Forschungsarbeit eines italienischen Forscherteams um Herrn Prof. Dr. Casari, die in der Novemberausgabe von EBioMedicine veröffentlicht wurde, kommt zu sehr wichtigen Ergebnissen.

Die Art des krankheitsverursachenden Prozesses, an dem das mitochondriale Netzwerk in SPG7 beteiligt ist, wurde in Experimenten sowohl in Zellen von Menschen mit SPG7 (aus Hautzellen entwickelte Nervenzellen) als auch bei Mäusen mit SPG7 aufgedeckt. Die medikamentöse Behandlung mit dem Benzodiazepin Bz-423 normalisiert die Nervenimpulse (
hier Infos zu den Benzodiazepinen aus Wikipedia) und stellt die Mobilität der SPG7-Mäuse wieder her, wodurch das Potenzial für eine Therapie für SPG7 geschaffen wird.

Im Schlussabsatz der Arbeit heißt es im Punkt 4 unter Diskussion:


„…….Am wichtigsten ist, dass wir die mPTP-Aktivität mit Bz-423 reaktivieren konnten, was auch in vivo wirksam war, indem die motorische Beeinträchtigung des SPG7 im Tiermodell vollständig behoben wurde. Diese Erkenntnisse eröffnen somit neue therapeutische Möglichkeiten zur Behandlung der spastischen Paraplegie mit SPG7…….“

Das klingt doch wirklich großartig. Natürlich ist zu bedenken, dass daraus ein Behandlungsansatz für uns Menschen erst noch entwickelt werden muss. Aber mit solch interessanten Ergebnissen aus der Arbeit der italienischen HSP-Forscher kann da sicher mit neuem Hochdruck dran gearbeitet werden.

Ich verlinke hier das
englischsprachige Original der Arbeit und hier die Google-Übersetzung ins Deutsche.

Herzliche Grüße
Rudi





Re: Neues zum SPG7 aus einer italienischen HSP-Forschergrupp

BeitragVerfasst: Do 3. Dez 2020, 09:17
von Ale
Das sind mal richtig tolle Neuigkeiten (sag ich mal so, hab eh nur die Hälfte verstanden :D )

Re: Neues zum SPG7 aus einer italienischen HSP-Forschergrupp

BeitragVerfasst: Do 3. Dez 2020, 13:32
von Rudi
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Hallo Ale,

du, das mit dem Verständnis, das ist doch ganz normal. Das geht auch nicht nur dir so! Publikationen wie diese zum SPG7 sind für Mediziner geschrieben. Da steht immer sehr viel an detaillierter Info drin, die für uns HSP-Betroffene nicht wirklich verständlich ist. Wir haben ja schließlich nicht Medizin studiert.

Mir kommt es bei solchen Arbeiten immer darauf an, das Wesentliche zu erkennen. Falls das dann für uns Betroffene von Interesse ist, dann stelle ich das immer hier im Forum ein und bemühe mich, die wichtigen Aussagen hervorzuheben. Ich bin der Überzeugung, dass das sinnvoll ist, weil die deutschen HSP'ler sonst leider kaum zu solchen Infos kommen würden.

Wir in der Interessengemeinschaft "Ge(h)n mit HSP" legen genau darauf den Schwerpunkt unserer Arbeit. Das ist in vielen Beiträgen hier im Forum genauso erkennbar wie durch die HSP-Info-Tage oder durch die
zahlreichen selbst produzierten Videos. Dabei sind wir für jede Unterstützung von weiteren HSP-Betroffenen sehr dankbar. Wir wollen informieren und wollen Fragen rund um das Leben mit HSP beantworten. Das klappt immer besser durch jeden, der sich entschließt unser Team in "Ge(h)n mit HSP" zu verstärken. Jeder kann sich einbringen!

Herzliche Grüße
Rudi




Re: Neues zum SPG7 aus einer italienischen HSP-Forschergrupp

BeitragVerfasst: Mo 7. Dez 2020, 12:30
von YvesK
Lieber Rudi,

danke für Deine schnelle und freundliche Antwort auf meine hoffnungsvollen Fragen zum Artikel über die Erkenntnisse der Italienischen Forschergruppe zum SPG7.

(...) Das Interesse ist da sehr groß, aber die Bereitschaft, selbst für Forschungsprojekte zu spenden, die ist leider sehr gering. Bei der kaum ausgeprägten Spendenbereitschaft, die es bei uns HSP'lern leider gibt, wage ich es nicht, die Forscher ganz gezielt auf eine Unterstützung anzusprechen. Da würde ich mich vermutlich mit den paar Euros, die wir geben könnten, lächerlich machen. Das Problem gibt es nicht nur beim SPG7. Ist leider ein typisches HSP-Thema speziell in Deutschland. HSP'ler in anderen Ländern gehen da anders vor. Vermutlich müssen wir auf die Italiener warten. (...)

Ab welchem Betrag würdest Du nicht mehr fürchten Dich lächerlich zu machen ?

Schöne Grüße von Anna

Re: Neues zum SPG7 aus einer italienischen HSP-Forschergrupp

BeitragVerfasst: Mo 7. Dez 2020, 18:33
von Rudi
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Liebe Anna,

danke dafür, dass du einen Teil meiner E-Mail an dich hier öffentlich gemacht hast. Gerne gehe ich in dieser Nachricht an dich und natürlich auch an alle anderen Leser intensiver auf die Thematik ein.

Bedingt durch die Arbeiten an einem Impfstoff zum Corona-Virus wissen wir alle, dass solche Forschungen im Normalfall sehr lange dauern. Bei der momentan auf Hochtouren laufenden Impfstoffentwicklung hat man Wege gefunden, wie das Zeitfenster extrem verkürzt werden konnte. Das geht bei unserer HSP aber nicht. Erstens ist bzw. erzeugt die HSP keine Pandemie; sie ist ja nicht durch ein Virus übertragbar, sie ist auch nicht ansteckend und man stirbt nicht dran. Zweitens fehlt da auch der politische Wille. Drittens fehlt das in meiner E-Mail an dich angesprochene Geld.

Die Entwicklung eines „normalen“ Medikaments dauert im Regelfall 10 bis 15 Jahre. Das beginnt mit Arbeiten im Labor im Reagenzglas, geht weiter mit Arbeiten in Zellkulturen, dem folgen Tierversuche und dann gibt es die einzelnen Testphasen. (Diese Phasen wurden bei Corona auch immer beschrieben; allein in der Testphase 3 sind mehrere 10.000 Teilnehmer erforderlich). Siehe dazu hier eine gute
Erklärung vom Frauenhofer Institut. Dort findest du auch Aussagen zur Dauer. Da wird von 13 Jahren im Durchschnitt gesprochen.

Bei seltenen Erkrankungen dauert das wesentlich länger. Siehe zum Beispiel die australische HSP-Gruppe. Sie arbeitet seit mehr als 10 Jahren an einem Wirkstoff zum SPG4. Das ist kein neuer Wirkstoff, sondern es ist ein seit vielen Jahren bekannter Wirkstoff. Ich spreche das an, weil das vom Prinzip her vergleichbar sein wird mit dem was mit der italienischen Forschung möglich sein kann. Die Australier haben bereits viel mit Tiermodellen gearbeitet. Sie haben bereits Modelle entwickelt und getestet, mit denen sie bei Menschen den erhofften Effekt nachweisen können. Auch dieser objektive Nachweis ist nämlich absolut erforderlich. Sie haben aber den Wirkstoff noch nicht an HSP betroffenen Menschen getestet. Dennoch haben sie bereits mehrere Millionen Dollar ausgegeben. Die erste Testphase mit sehr wenigen Betroffenen, soll nun im nächsten Jahr starten. Die Auswertung der Ergebnisse wird sicher mehr als ein Jahr dauern. Bei den folgenden Phasen sind dann wesentlich mehr Erkrankte als Testpersonen erforderlich. Das können die Australier aber nicht mehr nur im eigenen Land machen. Die erforderliche Menge der erkrankten Personen, die dabei mitmachen müssen, ist sehr viel größer als die Menge der SPGg4-Patienten in Australien. Diese Phase wird dann in Kooperation mit HSP-Betroffenen aus vielen Ländern laufen müssen. Nur wenn die dritte Phase positive Ergebnisse und vertretbare Nebenwirkungen bringt, kann das Medikament zur Behandlung der HSP zugelassen werden.

Soweit zu den einzelnen Schritten der Zulassung. Jetzt erst gehe ich auf die Kosten ein. Die Firma Medicro, die ihren Sitz in der Nähe von Nürnberg hat und sich mit der Medikamentenentwicklung befasst, beziffert den
Wert einer Medikamentenentwicklung auf rund 2,4 Milliarden Euro. Natürlich ist das weniger, wenn wie bei dem Versuch der Australier −und vermutlich auch bei dem durch die italienischen Forscher angesprochenen Weg− das Präparat schon vorliegt und nicht entwickelt werden muss. Dennoch sind hier mehrere Zig-Millionen Euro erforderlich. Das können wir natürlich nicht schaffen.

Also müsste man damit beginnen ganz kleine erste Schritte zu gehen. Das macht die australische Selbsthilfegruppe. Sie haben -wie oben angesprochen- in den letzten 10 Jahren schon sehr viel Geld ausgegeben und starten nun mit der Phase 1. Wenn alles gut geht, dann kann vielleicht in 10 Jahren ein Präparat für das SPG4 vorliegen.

Das, liebe Anna, musst du unbedingt berücksichtigen. Du erkennst, dass es viele Jahre dauert bis ein Präparat die Tests durchlaufen hat. Und diese Tests sind wirklich notwendig. Das Risiko wäre sonst viel zu hoch. Zusätzlich ist zu beachten, dass solche Testphasen zum Teil auch keine positiven Ergebnisse bringen. Dennoch ist das die einzige Chance, die wir haben. Wir als Vertreter der HSP-Patienten müssen es jedoch realisieren, dass wir in kleinen Schritten vorgehen müssen. Wenn wir das nicht machen, dann würde nämlich gar nichts passieren. Wir liefern mit unseren Förderungen die Grundlagen für die großen Projekte.

Sieh dir doch einfach die laufenden Projekte an, die wir mit unserem Förderverein unterstützen. Auch dort machen wir nur kleine, einzelne Schritte. Siehe
unsere laufenden Projekte und unsere abgeschlossenen Projekte. Und selbst diese überschaubaren Projekte bringen zum Teil kein positives Ergebnis (siehe das Projekt zu den Nonsensemutationen). Dennoch liefern gerade solche Projekte die Grundlage für weitere häufig ganz neue Projekte. Herr Dr. Regensburger hat das in seinem letzten Bericht zum Stoffwechselprojekt sehr klar angesprochen. Er schreibt dort:
Wir möchten an dieser Stelle betonen, dass die Förderung für die Stoffwechselstudie auch andere Forschungsprojekte zur HSP unterstützte bzw. überhaupt erst ermöglichte.


Es ist also im Moment nicht sinnvoll, durch uns einen Eurobetrag für ein mögliches SPG7-Projekt zu benennen. Das macht nur Sinne, wenn jedem bewusst ist, dass wir hier über einen hohen Millionenwert reden, dass wir von einer mehrjährigen Zeitschiene ausgehen müssen und zugleich zu bedenken haben, dass ein positives Endergebnis nicht gesichert ist. Mir scheint es nach wie vor der sinnvollste Weg zu sein, in keinen Schritten mit überschaubaren Einzelprojekten vorzugehen und damit Grundlagen für die international laufende HSP-Forschung zu legen.

In meinen Augen ist es nicht realistisch, wenn wir glauben, die erforderlichen Millionen auftreiben zu können. Das schaffen wir nicht. So ist es zu verstehen, wenn ich dir in meiner E-Mail geschrieben hatte, dass wir uns mit unserer relativ kleinen Summe aus Spenden für ein solches Projekt lächerlich machen würden. Wir würden dann nicht ernst genommen werden und uns würde jede Kompetenz abgesprochen werden.

Ich bin mir sicher, dass wir auf unserem Weg mit kleinen, überschaubaren Projekten dazu beitragen, die HSP zu besiegen. Deshalb sind Spenden von jedem HSP'ler gut, hilfreich und notwendig!

Alles Gute
Rudi



Re: Neues zum SPG7 aus einer italienischen HSP-Forschergrupp

BeitragVerfasst: So 13. Dez 2020, 10:54
von YvesK
Lieber Rudi,

hab herzlichen Dank für Deine Ausführungen !

Du erwähnst, wie lange schon Australische Forscher dabei seien, ein Medikament für SPG4 Leute zu entwickeln und zur Zulassung zu bringen.
Greifen bei den vielen HSP Formen nicht auch die Orphan Drug Zulassungserleichterungen ?
Natürlich hast Du Recht damit, dass die rasante Entwicklung des Covid 19 Impfstoffs unter sehr besonderen Bedingungen stattgefunden hat
aber das zeigt ja auch andererseits, dass es möglich ist, bisher geltende Standards weit hinter sich zu lassen.

Die Aussicht, etwas abzuwarten zu müssen, generiert innerlich immer sofort den Zusatz : bis zum St. Nimmerleinstag.
Wie traurig, Leben ist doch jetzt !
Wenigstens könnte man versuchen, die Forschungsarbeiten ganz nah zu verfolgen, wie Schlachtenbummler, große Fans (natürlich ohne zu stören) !

Sehr gemütlichen Sonntag wünsche ich,

Anna

Re: Neues zum SPG7 aus einer italienischen HSP-Forschergrupp

BeitragVerfasst: So 13. Dez 2020, 12:07
von Rudi
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Hallo Anna,

natürlich greifen bei der Entwicklung von Medikamenten für Seltene die Zulassungserleichterungen. Nur übersiehst du es vermutlich, dass diese Erleichterungen nur ein Teil des Themas sind. Um überhaupt in das Zulassungsverfahren zu kommen, müssen sehr viele, hoch ausgebildete Forscher an solch einer Medikamententwicklung arbeiten. Sonst gibt es nämlich nichts, was zugelassen werden kann. Auch diese Forscher brauchen am Ende des Monats Geld auf ihrem Konto. Auch sie müssen ihre Familien versorgen und haben auch Ansprüche, die du selbst kennst. Sie wollen mal Urlaub machen, sie wollen mal ins Kino oder ins Theater gehen, sie wollen mal ins Restaurant (das galt vor Corona und das gilt nach Corona auch wieder). Siehe es bitte, dass auch die Gehälter der Forschenden ein wesentlicher Bestandteil der Forschungskosten sind.

Bedenke, dass in der Medikamententwicklung Laborkapazitäten erforderlich sind. Das sind nicht nur die Räume. Nein, da werden hoch komplexe Maschinen benötigt, die in vielen Fällen Einzelanfertigungen sind. Die müssen entwickelt und gebaut werden. Ohne sie ist Forschung nicht möglich. Ach ja, und die kosten dann auch noch Geld. (Woher das wohl kommt?)

Ein ganz großer Unterschied zwischen der Entwicklung eines Corona-Impfstoffs und der Entwicklung einer HSP-Therapie liegt in den finanziellen Unterstützungen. Und hier ist natürlich zu bedenken, dass Corona jeden betrifft. Auch den, der es bisher nicht glauben will. Also sind da etwa 83 Millionen Menschen in Deutschland betroffen. Unsere Bundesregierung muss hier handeln. Sie handelt in diesem Fall für jeden von uns und nicht nur für die 8.000 HSP'ler. Sie hat deshalb, neben vielen weiteren Hilfen, den Betrag von 750 Millionen Euro den forschenden Firmen zur Verfügung gestellt. Du kannst das auf der Seite unserer Regierung im Beitrag
„Sonderprogramm Impfstoffentwicklung“ nachlesen.

Das hört sich nach richtig viel an; es sind aber „nur“ neun Euro für jeden Bundesbürger. Bedenke bitte, dass die Politik allein mit dem Projekt „Treat HSP“ zwei Millionen Euro in die HSP-Forschung gegeben hat. Das sind rund 250 Euro für jeden HSP’ler. 250 im Vergleich zu 9; das hört sich nun doch schon ganz gewaltig an. Aber es sind „nur“ zwei Millionen. Wie lange kann man davon wohl die Forscher bezahlen, die bei uns in Deutschland für unsere HSP arbeiten?

Bedenke bitte, dass es mehr als 8.000 seltene Erkrankungen gibt. Da müssen die Betroffenen selbst etwas unternehmen. Es ist zu einfach nur darauf zu warten, dass irgendjemand irgendetwas für uns unternimmt. Wir müssen uns selbst engagieren. Und das geht nur in vielen kleinen Projekten, die dem Ziel dienen, die große Lösung zu finden.

Also: Machen wir es wie andere Seltene: Helfen wir uns selbst! Werden wir aktiv! Bleiben wir engagiert!

Jeder kann etwas tun. Beschenken wir uns gegenseitig! Gemeinsam sind auch wir stark!

Viele Grüße
Rudi