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Wäre eine HSP Ambulanz ein lohnendes Ziel auf Antwortsuche

BeitragVerfasst: Do 1. Mär 2018, 16:53
von Henrike
Hallo,
ich habe einen Sohn, der inzwischen fast erwachsen ist. Er hat eine unbekannte Grundbehinderung und ich frage mich, ob ich eine HSP Ambulanz aufsuchen sollte, um ggf Antworten zu bekommen. Dazu würde ich gerne Eure Einschätzung

Ich stellte ihn und uns mal vor.

Mein Sohn ist inzwischen alter Teenie, Eltern, Großeltern, Geschwister sind alle gesund.

Er entwickelte sich im ersten Lebensjahr nach meiner Einschätzung normal, ggf hatte er eher erniedrigten Muskeltonus.

Da bis 18 Monate das Laufen nicht erlernt wurde, setzte KG ein und das freie Laufen wurde mit 2,5 Jahren erreicht. Zuerst stand in den Arztberichten hypotone Beine, dann Ataxie, dann Athetose und später dann eine spastische Diparese mit ataktischen Momenten. Die spastische Diparese ist progredient und wird immer stärker.

Lauffähigkeit ist auf das Haus begrenzt.

Die Arme sind kräftig, die Kraftsteuerung problematisch, Feinmotorik schlecht. Reflexe lediglich in den Beinen auffällig. Babinski positiv.

Er ist geistig behindert, autistisch und eine expressive Sprachentwicklung hat nie stattgefunden (nonverbal) , wenn auch das Sprachverständnis hervorragend ist, ebenso seine Fähigkeiten mit dem Talker. Er hat Epilepsie. Augen und Ohren funktionieren wunderbar.

MRT von Schädel und Spinalkanal waren immer unauffällig, ebenso die Laborergebnisse.

Genetik: Array cgh, Kif1a, ASPM, WDR62, FoxG1, CASK; CDC45 unauffällig.

Zur Zeit verschlechtert sich das Schlucken und die Epilepsie - neben der Spastik, die nur noch mit Botox in den Griff zu kriegen ist.

Es wird eine übergeordnete genetische Veränderung als Ursache für die Behinderung vermutet. Seit viele Jahren verfolge ich genetische Diagnosen und eine fortschreitende Spastik findet man eigentlich nur bei Erkrankungen, die dem HSP Bereich zugeordnet werden können, so meine Beobachtung. Ggf noch in den Bereich der Leukodystrophien, aber da passt wiederum das unauffällige MRT Ergebnis nicht.

Kennt jemand jemanden, der auch ein so komplexes früh einsetzendes Behinderungsbild hat, bei dem HSP diagnostiziert wurde? Meint Ihr, es lohnt sich, einen weiten Weg auf sich zu nehmen und eine HSP Ambulanz aufzusuchen?

Ich danke für Feedback und grüße herzlich

Henrike

Re: Wäre eine HSP Ambulanz ein lohnendes Ziel auf Antwortsuc

BeitragVerfasst: Fr 2. Mär 2018, 12:35
von Rudi
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Hallo Henrike,

zunächst ein herzliches Willkommen hier bei uns im Forum „Ge(h)n mit HSP“.

Das was du zu deinem Sohn schreibst, das klingt für viele Nutzer unseres Forums sehr vertraut. Dennoch, eingangs muss gesagt werden, dass wir hier im Forum keine Ärzte sind und dass alles was du hier lesen kannst, ausschließlich von HSP-Betroffenen stammt. Das heißt, dass jeder, der dir hier antworten wird, immer Vergleiche zu sich selbst oder zu Bekannten mit einer nachgewiesenen HSP anstellt. Niemand bei uns ist in der Lage, deine Hinweise und Aussagen differentialdiagnostisch zu werten. Du bekommst hier also Gedanken von HSP’lern zu lesen, die sich stark von den Gedanken der Betroffenen mit ähnlichem Krankheitsbild unterscheiden können. Nach dieser „Warnung“ nun meine Gedanken.

Das, was du schreibst, das klingt für HSP-Patienten zunächst einmal nach einer rezessiven HSP-Form. Das bedeutet, dass beide Elternteile gesund sind, aber beide Träger der genetischen Mutation sind. Bei der Zeugung des Kindes haben beide zufällig (Risiko ist 25%) das defekte Gen abgegeben, so dass das Kind dieses Gen nicht in der gesunden Form besitzt. Bei der HSP sind da die Formen SPG11, SPG7 und SPG15 häufig vertreten. Es gibt aber zahlreiche weitere Formen, die zu der Gruppe der rezessiven gehören. Alternativ könnte auch eine X-chromosomale Form vorliegen.

Bei vielen dieser Formen kannst du in der Literatur einige der von dir beschriebenen Symptome finden. Andere, die typisch für diese Formen sind, lassen sich aus deinem Text ausschließen. Du schreibst z.B., dass das MRT vom Schädel keine Veränderungen zeigt. Bei vielen rezessiven Formen der HSP ist aber eine Verdünnung des Corpus Callosum (das ist der Balken, der zwischen den beiden beiden Gehirnhälften verläuft und diese verbindet) zu finden. Das wäre im MRT sicher aufgefallen. Auf der anderen Seite schreibst du, dass das Babinski-Zeichen positiv ist. Das ist der klare Hinweis darauf, dass eine Störung in den langen Nervenbahnen des Rückenmarks vorliegt. Dieses Zeichen ist bei uns HSP’lern regelmäßig anzutreffen.

Zu einigen der rezessiven HSP-Formen findest du Infos über die im Beitrag
„Gute Beschreibung zahlreicher HSP-Gene“ angesprochenen Seiten. Darüber hinaus kannst du dich mit viel Zeit und Mühe in die HSP-Seiten in OMIM (= Online Mendelian Inheritance in Man) einlesen. Schaue dort beispielsweise einmal in die Beschreibungen zum SPG35 und du wirst einige Parallelen zu deinen Zeilen finden.

Nur, all das bringt dir zwar viel an Information, bringt dir aber keine Diagnose. In meinen Augen solltet ihr mit eurem Arzt darüber sprechen, dass er eine Gendiagnose an der Uniklinik Tübingen veranlasst. Dort wird derzeit mit einer sehr modernen und guten Technik nach HSP-Genen gesucht. Aktuell werden in einem Arbeitsgang 130 Gene untersucht. Das sind die derzeit bekannten etwa 80 HSP-Gene und zusätzlich 50 Gene zu solchen Krankheiten, die ähnliche Symptome wie die HSP erzeugen, die aber ganz andere Krankheiten sind. Euer Arzt kann das alles ganz leicht mit Tübingen klären, nimmt dann deinem Sohn eine Blutprobe ab und sendet die nach Tübingen. Dann müsst ihr nur einige Monate warten, bis ihr ein Ergebnis bekommt. Ich kenne derzeit keinen besseren Weg eine Diagnose zu erhalten. Dennoch musst du bedenken, dass auch auf diesem Weg nur die bisher bekannten HSP-Gene untersucht werden können. Viele, sehr selten auftretende HSP-Gene, kennt man bisher noch nicht.

Sollte bei diesem Versuch nichts herauskommen, dann solltet ihr unbedingt eine HSP-Spezialambulanz aufsuchen. Wir überarbeiten momentan mit sehr intensiver Recherche unsere
Seite zu den HSP-Ambulanzen. Schau da in den nächsten Wochen einfach mal rein.

Bei weiteren Fragen melde dich einfach, gerne auch telefonisch (Nummer unten).

Herzliche Grüße
Rudi




Re: Wäre eine HSP Ambulanz ein lohnendes Ziel auf Antwortsuc

BeitragVerfasst: Sa 3. Mär 2018, 13:55
von Henrike
Danke Rudi für Deine Einschätzung und lange Antwort.

Klar habe ich keine ärztliche Antwort erwartet, davon habe ich diverse im Laufe der Jahre (nicht) erhalten ;)

Der Genetiker geht von einer spontanen Mutation aus, das leitet er aus dem Familienstammbaum ab, Beweise gibt es dafür natürlich ohne Diagnose nicht.

Bei dem Genetiker haben wir demnächst wieder einen Termin, der eine TrioExomSequenzierung ( https://www.cegat.de/diagnostik/exom-diagnostik/ )vornehmen möchte. HSP Panel werde ich nochmals ansprechen.

Ob eine Diagnose wirklich die wesentlichen Fragen beantwortet und uns Prognosen an die Hand gibt, vermag ich nicht zu sagen, aber sie ist wichtig für die Familienplanung der übrigen Familienmitglieder, damit diese ihre mögliche Vererbungswahrscheinlichkeit kennen, was auch immer sie dann daraus machen.

Manchmal, so habe ich den Eindruck, ist keine Diagnose zu haben auch nicht schlecht, so bekommt mein Sohn ohne Probleme die Botoxbehandlung.

Liebe Grüße

Henrike

Re: Wäre eine HSP Ambulanz ein lohnendes Ziel auf Antwortsuc

BeitragVerfasst: Do 19. Apr 2018, 06:52
von Katrin
Hallo Henrike,

eine Diagnose ist wichtig, nicht nur für die weitere Familienplanung der Verwandschaft, sondern auch für deinen Sohn. Es gibt einige wenige Gen-Typen, wo sich durch Medikamente der Ist-Zustand halten lässt. Das geht aber nur, wenn man das Gen weiß. Auch wir sind gerade wieder voll in der Diagnostik, siehe dazu meinen gestrigen Text "Gen gefunden - SPG81".

Gruß, Katrin

Re: Wäre eine HSP Ambulanz ein lohnendes Ziel auf Antwortsuc

BeitragVerfasst: Do 19. Apr 2018, 10:42
von Henrike
Danke Euch - über die Genetik wurde jetzt Kontakt nach Tübingen hergestellt - nachdem es sich persönlich schwierig darstellte.

Neuester Gedanke, nachdem Kif1a genetisch ausgeschlossen wurde, ist ein atypisches Crash Syndrom, L1Cam/SPG1.

Das würde einiges erklären ;-)

Bin gespannt, wie es weitergeht