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HSP - Thema in der Sozialpolitik

BeitragVerfasst: Fr 31. Jul 2020, 11:38
von aniraC
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Hallo miteinander,

vor ein paar Wochen hatte ich euch über eine Anfrage zur HSP informiert, die im Landtag meines Bundeslandes Baden-Württemberg gestellt wurde (siehe hier). Dieser Antrag wurde u.a. vom Landtagsabgeordneten Herrn Jürgen Keck gestellt, in dessen Büro ich arbeite. Seine Anfrage und die Antwort der Landesregierung hatte er auch an Rudi Kleinsorge gesandt, der ihm dankenswerterweise eine ausführliche Antwort mit wichtigen Hinweisen und Kommentaren zukommen ließ. Herr Keck bat daraufhin um ein Gespräch, bei dem vier Themen im Vordergrund stehen sollten. Rudi kam dieser Bitte nach und das Gespräch fand als Telefonkonferenz mit den folgenden Schwerpunkten statt:

  • Berufsunfähigkeitsversicherung
  • Schwerbehindertenausweis mit dem Merkzeichen aG
  • Blauer Parkausweis
  • HSP in den Medien
Neben Herrn Keck und Rudi Kleinsorge nahmen auch Lothar Riehl und ich an dieser Konferenz teil. Ich möchte euch nun über die wesentlichen Inhalte und die sich daraus ableitenden Folgeschritte informieren.


Top 1: Berufsunfähigkeitsversicherung

Hier ging es zunächst darum, die bestehende rechtliche Situation darzustellen. Es wurde dargelegt, dass eine solche Versicherung möglich und sinnvoll ist. Voraussetzung dafür ist, dass die Versicherungsnehmer noch keine HSP-Symptome haben und dass auch die Arztberichte eine solche Symptomatik nicht beschreiben.

Wichtig ist es, dass allein ein genetischer Befund, der die HSP nachweist, kein Grund ist, mit dem ein Versicherungsgeber den Antrag auf eine Berufsunfähigkeitsversicherung ablehnen kann. Im §18 des Gendiagnostikgesetzes ist geregelt (siehe hier), dass der Versicherungsgeber eine Gendiagnose nicht verlangen darf und auch nicht bereits vorliegende gendiagnostische Befunde anfordern darf. Es gibt nur eine Ausnahme von dieser Regel. Sie tritt dann ein, wenn die Versicherungssumme sehr hoch gewählt werden soll. Auch das ist im oben verlinkten §18 des Gesetzes geregelt.

Es wurde sehr deutlich angesprochen, dass gerade in Familien mit bekannten HSP-Fällen eine Berufsunfähigkeitsversicherung für junge Familienmitglieder sehr früh abgeschlossen werden sollte. Sobald die HSP nämlich ihre typischen Krankheitszeichen erkennbar macht und die auch bei euren Ärzten bekannt sind, ist eine Berufsunfähigkeitsversicherung nicht mehr abschließbar.

Natürlich können wir nicht nur wegen der HSP berufsunfähig werden. Auch für jeden unter uns kann es sinnvoll sein, eine entsprechende Versicherung abzuschließen, bei der dann natürlich die HSP als Auslöser der Berufsunfähigkeit ausgeschlossen wird. Die Kosten der Versicherung erhöhen sich in solchen Fällen nicht.

Herr Keck erhielt den Hinweis, im politischen Bereich die Möglichkeit eines anderen Weges zu erkunden. Ähnlich wie vor einigen Jahren im Bereich der privaten Pflegeversicherung, möge er es in den entsprechenden Gremien einmal ansprechen, ob eine Ergänzung der Versicherung ‒ähnlich dem so genannten Pfleg-Bahr‒ möglich gemacht werden kann (siehe hier). Dabei handelt es sich um eine Versicherung, bei der der Gesundheitszustand des Versicherten keine Rolle spielen darf. Es gibt das bisher nur bei der Pflegeversicherung.

Herr Keck nahm den Hinweis auf und wird ihn in seinen Gesprächen zur Berufsunfähigkeitsversicherung im Auge behalten.


Top 2: Schwerbehindertenausweis mit dem Merkzeichen aG

Es wurde dargelegt, dass sich die Bedingungen unter denen das Merkzeichen aG erteilt wird, in den letzten Jahren dramatisch stark zum Nachteil der HSP-Betroffenen verschlechtert haben. Dazu gibt es übrigens auch einige Petitionen im Petitionsausschuss des Landtags. Lothar Riehl verwies in diesem Zusammenhang auf eine Seite, die vom Regierungspräsidium Gießen stammt, die sich mit der Zuerkennung des Merkzeichens aG befasst (siehe hier). Es ist erkennbar, dass sich die Merkzeichenvergabe von den medizinischen Belangen hin zu juristischen Belangen verlagert hat.

Auf diese Situation wird Herr Keck in sozialpolitischen Gesprächen, insbesondere zwischen Landes- und Bundespolitikern, verstärkt eingehen.


Top 3: Blauer Parkausweis

Die Zuerkennung des blauen Parkausweises ist für viele unter uns eine absolute Notwendigkeit. Sie ist jedoch bereits vor vielen Jahren an die Ausstellung des Schwerbehindertenausweises mit dem Merkzeichen aG gekoppelt. Leider wurde diese Koppelung in den letzten Jahren nicht verändert, obwohl sich ‒so wie bei Top 2 beschrieben‒ die Regelungen für das Merkzeichen aG sehr stark verändert haben. Es wurde mit unterschiedlichen Beispielen aus den täglichen Leben dargelegt, wie wichtig der blaue Parkausweis für viele HSP-Betroffene ist.

Herr Keck stellte dar, dass es gelingen müsse, die Koppelung des blauen Parkausweises an das Merkzeichen aG zu lösen. Er wird auch diesen Ansatz in seine politische Arbeit aufnehmen und wird Gespräche mit dem Ziel führen, hier eine Lösung zu finden, die Menschen mit starken Bewegungseinschränkungen entgegenkommt.


Top 4: HSP in den Medien

Rudi stellte es dar, dass unsere HSP als seltene Erkrankung viel zu wenig Raum in den Medien findet. Zeitungen und Fernsehsender haben wenig Interesse daran, der HSP Raum zu geben. Er zeigte es auf, dass viele Erkrankte, die mit den uns bekannten Einschränkungen leben, häufig keine Ärzte finden, die sich mit der seltenen HSP auskennen, oder sie überhaupt kennen. Zeiträume von vielen Jahren bis zu einer Diagnose sind laut Rudi leider immer noch an der Tagesordnung.

Um diese Situation für Patienten zu verbessern, sind Beiträge im Fernsehen und in den Zeitungen das beste Mittel. Über diese Wege können erkrankte Personen erreicht werden und sie können so wertvolle Hinweise erhalten, wie sie den Umgang mit ihrer bislang nicht diagnostizierbaren Erkrankung verändern und ganz gezielt kompetente Ärzte aufsuchen, die sich mit Bewegungsstörungen wie unserer HSP befassen. Rudi bat Herrn Keck um Unterstützung in der Kontaktsuche zu den Medien.

Herr Keck zeigte volles Verständnis für die Bitte und sicherte seine Unterstützung im Bereich der Medien zu.

Abschließend hoben alle Beteiligten es hervor, dass das Gespräch die wesentlichen Schwerpunkte in den Vordergrund stellen konnte. Man hoffe es sehr, dass sich aus den neu gewonnenen Erkenntnissen positive Veränderungen im Leben von uns HSP-Betroffenen ergeben werden.

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Ihr seht es, dass wir in unserer Konferenz einige wichtige Punkte angesprochen haben. Natürlich bedeutet das nicht, dass wir nun ganz schnell eine gute Lösung für uns erhalten werden. Ich bin aber davon überzeugt, dass jeder Versuch mit dem wir unsere Situation verbessern können, ein richtiger und wichtiger Versuch ist. Meinem Chef, Herrn Keck und natürlich Rudi und Lothar bin ich sehr dankbar dafür, dass sie sich die Zeit für dieses Thema genommen haben. Alle haben sich nämlich bereits einige Tage zuvor die Mühe gemacht, das Gespräch intensiv vorzubereiten. Sonst wäre ein solch intensiver Gedankenaustausch nicht möglich geworden! :)

Habt eine gesunde und schöne Sommerzeit!

Carina




Re: HSP - Thema in der Sozialpolitik

BeitragVerfasst: So 5. Jun 2022, 08:08
von Katrin
Moin Carina,

was hat sich denn seit deiner Beiträge und dem intensiven Gespräch mit Rudi, Lothar und Herrn Keck landes- oder bundespolitisch getan? ein Zwischenbericht nach 2 Jahren wäre doch sehr interessant, finde ich.

Zum blauen Parkausweis kann ich aus eigener Erfahrung sagen, dass dieser nicht nur für HSP-Betroffene wichtig ist, er steht auch Rollstuhlfahrern mit anderen Diagnosen zu, auch Blinde und stark sehbehinderte Menschen profitieren davon, wenn die Begleitperson näher am Zielort parken kann.

Zum Thema HSP in den Medien habe ich hier vor längerer Zeit etwas in den Ideenpool des Fördervereins gestellt, eine Idee zu einer Spendensammelsendung zur Weihnachtszeit. Leider gibt es dazu keine Rückmeldung, ob man diese Idee weiter entwickeln könnte, wollte oder sollte.

Zur Berufsunfähigkeit(srente) möchte ich sagen, dass Berufsunfähigkeit nicht mit Erwerbsunfähigkeit gleichgesetzt werden kann und darf. Jemand, der aufgrund von HSP oder anderen Gründen wie Krebserkrankung, Verkehrsunfall u.a. seinen Ursprungsberuf nicht mehr ausüben kann, z.B. Altenpflegerin oder Krankenschwester mit Rückenschaden und noch wesentlich zu jung für die reguläre Rente ist, hat das Recht auf berufliche (Wieder)Eingliederung.

In Deutschland gibt es ein Netzwerk aus Berufsförderungswerken (BFW), Berufsbildungswerken (BBW) und Beruflichen Trainingszentren (BTZ).
BBWs bieten Erstausbildungen an für Schüler mit oder ohne Schulabschluß an, die auf dem regulären Arbeitsmarkt kaum oder keine Chancen haben, eine Ausbildungsfirma zu finden, weil diese sich oft scheuen, Jugendliche oder junge Erwachsene mit Behinderung einzustellen. Meine Tochter macht aktuell ihre Ausbildung in einem BBW.
BTZs bieten Menschen mit psychischen Behinderungen die Wieder-Eingliederung in ein normales Arbeitsleben mit langsamer Erhöhung der täglichen Arbeitsstunden, Bewerbungstraining, Praktika bis hin zum regulären Arbeitsplatz.
BFWs bieten Zweitausbildungen an, z.B. nach Eintritt der Berufsunfähigkeit. Nach 2 Jahren Vollzeitausbildung mit Handelskammer-Abschluß ist man im neuen Beruf wieder bereit für den regulären Arbeitsmarkt und kann mit 30, 40 oder 50 Jahren noch viele Jahre arbeiten gehen.
Ich arbeite seit über 20 Jahren im BFW Hamburg und bekomme diese positive Entwicklung unserer Teilnehmer täglich mit. Wir bieten, wie auch andere Standorte, auch einen Internatsplatz bei Bedarf an, unser Portfolio wird ständig an den Arbeitsmarkt angepasst. Wir bieten vor einer Ausbildung auch sog. Arbeitserprobungen an, wo in 2 oder 3 Wochen getestet wird, was beruflich und körperlich noch leistbar ist. Bei neurologischen ursachen kann die Arbeitserprobung auch bis zu 4 Wochen dauern.


Privat bin ich ehrenamtlich in der Bezirkspolitik aktiv, siehe bei Instagram @diekaempfervonhamburg
Wir kämpfen für die Belange für Menschen mit Behinderung. Arbeitswelt, Inklusion, Teilhabe, Leichte Sprache sind unsere großen Themen. Auch gibt es jährlich zum Europäischen Protesttag am 5. Mai entsprechende Aktionen. Wir sind Mitglied im Inklusionsbeirat unseres Bezirkes und im landesbeirat Hamburg für Menschen mit Behinderungen. Wir haben Kontakte zu Bezirkspolitikern und kürzlich Kontakt aufgenommen zu jemandem, der uns eine Internetseite aufbauen möchte innerhalb eines Inklusionsprojekts seiner Firma.
Es gibt noch sehr viel zu tun, wenn man aber nicht im eigenen Bezirk anfängt, kann man vom Bund nicht viel erwarten. Denn da sitzen die, die nur ÜBER aber nicht MIT uns reden, die vermeintlich studierte Experten sind. Es wird aber nicht wahrgenommen, das jeder Mensch mit Geburts- oder erworbener Behinderung oder chronischer Erkrankung sein eigener Experte in eigener Sache ist. Inklusion ist erst dann kein Thema mehr, wenn nicht mehr ständig auf Inklusion und Teilhabe hingewiesen werden muss. Inklusion darf nicht am letzten Kindergarten- oder Schultag enden, sondern muss uns alle bis zum Lebensende begleiten.

Auch wird unsere Personengruppe in Alten- und Pflegeheimen nicht mitgedacht. Wer heute mit einer Geburtsbehinderung lebt, ist erst nach 1945 geboren, vorher hatten wir keine Lebensberechtigung. In Alten- und Pflegeheimen kennt man kognitive Behinderung in Form von Demenz und körperliche Behinderung in Form von Parkinson und Schlaganfall. Wenn aber irgendwann ein 80jähriger Autist oder jemand mit Trisomie 21 in seiner Wohngruppe nicht mehr betreut werden kann, sind Alten- und Pfleheimeime damit überfordert, weil dieses Thema in der Ausbildung nicht mit einbezogen wird. Die Änderung der Ausbildung muss noch heute beginnen, nicht erst in Jahren oder Jahrzehnten, damit unsere Personengruppe im Alter nicht auf der Strecke bleibt.


Gruß, Katrin

Re: HSP - Thema in der Sozialpolitik

BeitragVerfasst: So 5. Jun 2022, 14:21
von Rudi
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Hallo Katrin,

du schreibst:
Zum Thema HSP in den Medien habe ich hier vor längerer Zeit etwas in den Ideenpool des Fördervereins gestellt, eine Idee zu einer Spendensammelsendung zur Weihnachtszeit. Leider gibt es dazu keine Rückmeldung, ob man diese Idee weiter entwickeln könnte, wollte oder sollte.


Auf deinen damaligen Beitrag hatte ich am 23.8.2020 geantwortet:
Gerne wird in diesem Zusammenhang von den großen Fernsehsendungen gesprochen. Aber mal ehrlich. Da könnten wir im günstigsten Fall dann hereinkommen, wenn wir es zuvor schaffen, die Öffentlichkeit für uns zu interessieren. Ohne öffentliches Interesse (=Quote) gibt es keine TV-Sendungen. Das könnte zum Beispiel dadurch funktionieren, dass wir -ähnlich wie die Muko- selbst große Finanzmittel für die Forschung gewinnen. Das wäre dann ein Beispiel für unser Engagement in eigener Sache; das würde zeigen, dass wir unsere Gesundheit "selbst in die Hand nehmen". Das wäre ein typischer Aufhänger fürs Fernsehen, weil es ungewöhnlich wäre. Wir müssen uns dazu wirklich ins Zeug legen; jeder von uns muss aktiv werden!


Zu meiner damaligen Rückmeldung stehe ich nach wie vor.

Herzliche Grüße
Rudi




Re: HSP - Thema in der Sozialpolitik

BeitragVerfasst: So 5. Jun 2022, 20:21
von Katrin
Hallo Rudi,

das ist mir irgendwie entgangen, sorry.

Aber das heißt doch im Umkehrschluß, hier sind zu wenige Personen dazu bereit, etwas für die eigene Gesundheit zu tun in Form von finanzieller Unterstützung, Organisation von öffentlichen Veranstaltungen z.B. am %. Mai, am 29. Februar oder am 3. Dezember. Da reicht es nicht, zu Hochzeits- oder runden Geburtstagen in der Verwandschaft Geld zu sammeln, die auf das Thema sensibilisiert sind.
Wir brauchen auch in den betroffenen Familien der hier Angemeldeten generationsübergreifendes Engagement, nicht nur die Großeltern, wir brauchen auch Eltern und Kinder oder Enkelkinder. Ich habe hier noch nicht bewußt wahrgenommen, dass ein (noch) nicht betroffenes Kind oder Jugendlicher über Sorgen und Ängste schreibt, wenn er oder sie erlebt, was die HSP mit Eltern oder Großeltern macht.

Wir müssen hier mehr Leben reinbringen, uns als Community sehen, nicht als Einzelkämpfer, die sich Tipps von anderen Einzelkämpfern holen. Jeder kann etwas tun, und wenn es nur monatlich oder vierteljährlich 5, 10, 15 Euro als Dauerauftrag sind. Denn nur dann kann man auch von Forschern erwarten, dass die Forschung voran kommt.

Gruß, Katrin